Verfahrensweise

Es hatte die ganze Nacht lang ununterbrochen geregnet. Kleinstädte im Sauerland konnten dabei eine unglaubliche Tristesse entwickeln. Wahrscheinlich war das sowieso eine der wichtigsten Eigenschaften von Kleinstädten. Ruhe und eine ordentliche Prise Langeweile. Wer als ein Ländler wäre sonst schon auf den abstrusen Gedanken gekommen, einen Holzvogel hochzuziehen, ihn abzuknallen, den erfolgreichen Schützen König zu nennen und das auch noch ein ganzes Wochenende zu feiern? Gerade solche Ortschaften, in welchen nur einige tausend oder gar hundert Menschen leben, lebten das ganze Jahr für diese Festivität. Da muss man sich schon etwas einfallen lassen, um nicht innerhalb weniger Monate mit Depressionen in der nächsten Selbsthilfegruppe oder beim Psychologen zu sitzen.  Kaum einer kann sich vorstellen, wieviele Spiele aus solchen Situationen entstanden sind. So wahrscheinlich auch das beliebte Spiel Flunkyball. Oder auch die immer wieder schönen Dorfprügeleien. Und wer weiß denn schon, dass die Ortsfeuerwehren mehr Brände löschen als in jeder Großstadt. Eine Abteilung legt die Brände, die andere löscht, immer schön abwechseln versteht sich, damit es nicht auffällt. Nicht zuletzt auch die vielen Kehlenbrände nach getaner Arbeit, für die man ein besonderes Löschsystem entwickelt hatte. Die Bierflaschen dort haben frappierende Ähnlichkeit mit Handgranaten und lassen sich gesonders schnell leeren.  „Man könnte sich mit etwas Geschick in den Pfützen spiegeln, man könnte allerdings auch genausogut mit grüngelben Gummistiefeln hineinspringen und das Wasser spritzen lassen. Man könnte auch mit dem Fahrrad einen Pfützenslalom machen, immer um die Spiegelwasserlachen herum. Man könnte mit etwas Geschick sogar…“ In diesem Moment wurde Herr Nipp auf seinen tiefsinnigen Gedanken gerissen, die mit jedem Moment infantiler zu werden drohten. Mit quietschenden Reifen schoss ein dunkler Wagen um die Ecke, hielt ruckhaft an und ihm entstiegen vier Männer mit dunklen Anzügen und ebensolchen Hüten. Jeder von ihnen hatte einen schwarzen Aktenkoffer in der linken Hand, in der rechten allerdings, als wären sie aus einem mittelmäßigen Kinderroman entsprungen, eine fürchterlich stinkende Zigarre. Sie umringten Herrn Nipp. Schon eine etwas bedrohliche Situation, die andere Menschen sicherlich mehr als eingeschüchtert hätte. Aber normalerweise war er ja nicht so leicht einzuschüchtern. Schon gar nicht von Menschen, die offenkundig ihren Auftritt wie eine Choreographie geplant und sicherlich auch geprobt hatten, in vielen Situationen vorher. Immerhin lief ihm ein mittelschwerer Schauder über den Rücken, nein, kein lahmes Schaudern, sondern ein Formel-1-Bolide, der sich auf freier Strecke ohne Kurven wähnte.  Der Kantigste unter ihnen schien das Alphatier zu sein, herrisch und mit einer Anmutung von Arroganz im Blick. Was das wohl werden sollte? „Entschuldigen Sie, werter Herr, wir haben uns wohl verfahren, sind wir hier in Dortmund?“

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