Die Kiste VIII

In diese ernsthaften und schönen Augen hatte er geblickt, hatte sich mal wieder für Momente  hoffnungslos verloren, sich in einem Zustand wiedergefunden, der ihm selber unangenehm war. Äußerst unangenehm. Weil er sich so wohl fühlte. Sie waren vor ihm aufgetaucht wie eine Fata Morgana aus längst vergraben gehofften Zeiten. Erinnerungsverzerrt. Doch schon ihre Nähe, ohne sie überhaupt gesehen zu haben, löste viel aus. Als läge eine Spannung in der Luft wie ein Seidengespinst, man musste sich in dieser Atmosphäre einfach verfangen. Wahrscheinlich waren es die Pheromone oder die oft besprochenen aber nie wissenschaftlich bewiesenen Schwingungen, die den Raum angeblich fluten sollen. Vielleicht die mysteriöse Orgonstrahlung eines Wilhelm Reich?Wahrscheinlich aber ist alles wesentlich einfacher zu erklären, wer weiß das schon.

Dieses Lachen, wissend und doch immer mit dem Hauch Kindlichkeit spielend, die nach all den Jahren übrig geblieben war. Diese freundliche Art mit gleichzeitiger, mit abweisender Härte. Schmelz und Vernichtung können so nah zusammenliegen, wie bei einer mit Eisenhut gefüllten Praline. Wenn er diese Frau in seiner Nähe wahrnahm, dann musste er unwillkürlich, ungesteuert an Rose Ausländers Gedicht „Das Schönste“ denken, in dem es in den letzten Versen heißt

 „weil

es nichts Schöneres gibt“

Und an diese Zeilen aus einem alten Lied, die da sagten „keine Schönheit ohne Gefahr und keine Liebe – auch keine Liebe ohne Gefahr“ Nicht nur Situationen können Assoziationen auslösen auch die Anwesenheit von Menschen, das ist schon einmal klar.

Verwirrt sollte er an diesem Abend nach Hause gehen, einen Zettel aus der Kiste ziehen und ihn völlig erschöpft und ungelesen an den Rand des Bettes legen. Am nächsten Morgen erwachte er mit einem Satz, wohl ein Brechtzitat:

„Laßt Euch nicht verführen!“

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