Kurz mal eben

Ein Besuch ist gerade beendet. Gutes Gespräch, sehr offen und herzlich. Herr Nipp des Wegs nach Hause. Die Witterung lastet ihm auf dem Schädel, lässt immer wieder einmal für kurze Zeit Wellen anbranden. Aber irgendwie mild scheint ihm diese Nacht. Auf dem Kommunikator findet sich gegen zehn eine Nachricht. „Messer ist fertig“. Das muss er sehen und zwar schnell, schreibt zurück, fragt, ob er kommen kann, ganz kurz eben. Eine Antwort wartet er nicht ab. Schon im Wagen, ist auf dem Weg, freut sich auf den Anblick. Er muss nur einmal grundlegend die Straße wechseln, danach nur geradeaus, wird die Schmiede schon finden.

Manchmal aber ist der gerade Weg der schwierigste, plötzlich steht das Auto in einer ganz anderen Gegend, wohl weil einfach gefahren wurde. Nicht wissend wo,  zurückfahren, einige Kilometer, auf Wegmarken achten, alles erscheint unbekannt, als hätte es in eine ganz neue Gegend verschlagen. Das darf nicht wahr sein. Auch die Ortsschilder machen keinen Sinn, kurz hintereinander folgen Dörfer und Städte, die nicht zusammen gehören. Als sei die gesamte Landschaft verschoben. Auch die Vegetation, die unter den Strahlen der Scheinwerfer aufleuchtet, macht ihn stutzig. Seit wann gibt es denn wieder so große Ulmen, solche Gebiete an zusammenhängenden Buchenwäldern. Die Architekturen wirken geschlossener, oftmals sind die Häuser mit Schiefer beschlagen, die Orte wirken dadurch viel dunkler. Herr Nipp fährt durch die Gegend, die Kilometer fliegen vorbei, immer schneller und schneller. Stundenlang, er weiß, dass niemals ein Ziel zu finden sein wird. Den Rest seines Lebens muss die Strecke gefahren werden, damit zum Ende irgendwann einmal alles wieder an der richtigen Stelle steht.

Solche Gedanken gehen ihm auf der kurzen Strecke durch den Kopf, er muss an einen Kurzfilm denken, in welchem es um ein ähnliches Phänomen ging, nur dass die Strecken irgendwann aufhörten, immer dann, wenn an Stellen weiter gefahren wurde, die nicht ausgezeichnet, die unbeschildert waren. Die Welt in stetem Aufbau, alles nicht Gesehene existiert noch nicht und manchmal setzt das Programm alles falsch zusammen. Tausend Gedanken und Abwege von diesen blitzen auf. Man könnte sich darin verstricken. Davor hat er manchmal Angst, dass die Gedanken irgendwann einmal seine Realität stärker beeinflussen, als diese dies selbst noch kann. Dann fragt er sich zuweilen, immer wieder, was denn eigentlich Realität ist und ob das Erlebte tatsächlich passiert. Dies sind fast pubertäre Gedanken, im erwachsen Sein sollte nicht alles infrage gestellt werden.

Es dauert gerade mal drei Minuten, da leuchtet wieder diese Werkstatt, fast als würde sie ihn einladen. Die beiden sitzen und stehen gerade vor einem Bildschirm, blicken aus dem Fenster, als der verbeulte Wagen vorfährt. Der Schmied winkt heran, das musst du dir ansehen. Gerade auf youtube ein Video über Wahnsinnige, die ein Messer geschmiedet haben und dieses dann unter allen Möglichkeiten des Stabilitätstests systematisch wieder vernichten. Kopfschütteln und Grinsen. „Die spinnen doch.“ Faszination pur. Da wird ein Baumstamm mit dem Messer durchgehackt, dicker Draht auch. Seile, Stöcke, alles Denkbare wird zum Opfer dieses Messers, das kaum Macken davonträgt. Zum guten Ende spannt der junge Mann sein Werkstück ein und biegt dieses hin und her, Materialermüdung setzt ein. Aber erst nach dem zwölften Mal Verbiegen bricht die Klinge. Wieder Kopfschütteln.

Die drei wechseln den Ort, gehen zur Esse, dort liegen einige Klingen der letzten Tage und ein fertiges Messer, der Griff aus Robinie. Stunden an Schleifarbeit. Fachsimpeln über die künftigen Perspektiven. Die Stähle werden verglichen. Nach und nach holt der Schmied weitere Proben hervor, auch ein Stück, das über 3200-fach gefaltet wurde. Irgendwann muss man wahrscheinlich gar nicht mehr zählen. Dann geht es nicht mehr um das Muster, sondern darum, einen möglichst zähen und scharfen Stahl zu erzeugen. Wieviel wohl wäre möglich.

Die Zeit fliegt, in kurzer erlebter Zeit so ein zwei Stunden, von wegen kurz mal eben.

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