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In diesem Moment hörte er den fordernden Ton des Laptops, jemand hatte ihm wohl eine wichtige Nachricht zukommen lassen. Das ist wohl das Verrückte an dieser interkommunikativen Zeit, man könnte den Mitmenschen nicht entfliehen, nur, wenn alle Geräte auf Aus gestellt wären und das kann sich niemand leisten. Bestimmte neue Entwicklungen müssen immer direkt abrufbar sein, nichts darf dem modernen Geschäftsmann durch die Lappen gehen. Ein weiterer Ton zeigte nun an, dass eine Antwort gefordert war. Er klappte den Rechner auf und musste nur zwei Mal auf die Oberfläche tippen, schon schien die Seite mit kleinen Bildchen auf. Eine schöne Frau blickte ihn direkt an. Schwarze Haare und Augen, denen man verfallen konnte. Immer schien es ihm, als wechselten sie zwischen absoluter Ernsthaftigkeit und mildem Spott. Sie war doch so viele Jahre jünger. Kann man über die Generationen hinweg eine ernsthafte Unterhaltung mit einander führen, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben?

In einem Gespräch mit einigen Künstlern hatte er gehört, dass es solche Situationen der Begegnung auf Augenhöhe tatsächlich geben sollte. Da saßen dann drei vier Künstler zusammen zwischen zwanzig und siebzig Jahren alt und redeten mit einander, jeder hatte jedem etwas mitzugeben und tatsächlich kamen auch noch sinnvolle oder unsinnige, aber dafür spannende Projekte dabei heraus. Zwischen Erfahrung und neuen Gedanken liegen vielleicht Welten, aber diese können immer dann überwunden werden, wenn man sich mit Herz und Haut dem sogenannten Flow hingibt. So hatten diese Künstler es bezeichnet, tatsächlich war ihm immer wieder aufgefallen, dass ältere Künstler gerne mit jüngeren zusammen arbeiten, auch umgekehrt. Da ging es dann nicht um Marken, die vor anderen verteidigt werden mussten, sondern darum Kunst zu machen. Ohne Limits.

Ob er selbst allerdings für eine solche Sache fähig wäre, das konnte er in diesem Moment nicht entscheiden. Kaum jedoch sah er das nett lächelnde Smileyzeichen, musste er an ein Video denken, an sein bewusstes Altern auch. Vor einiger Zeit hatte er ein erschütterndes Video gesehen von Anthony and the Johnsons. Cut the World. Von der Qualität eines Spielfilms. Gute Schauspieler und vor allem eine Kameraführung, die innerhalb weniger Sekunden den Betrachter in seinen Bann schlagen muss. Der alte Firmenchef  im Kontrast zur schönen jungen Sekretärin und man hat das Gefühl, dass zwischen den beiden etwas nicht Ausgesprochenes läuft. Dass er verliebt ist und weiß, dass es nicht geht, und dann nimmt sie irgendwann das Messer und schneidet ihm von hinten die Kehle auf. Vergießt eine Träne, die ihm ins Auge fällt. Sie verlässt das Zimmer, das Büro und plötzlich kommen von überall her weitere Sekretärinnen, alle haben ihre Mordwerkzeuge in der Hand und man weiß, was in dieser entmenschten Stadt, dieser Bürostadt passiert ist. Entseelte Menschen, die in einem unerklärlichen Akt des Mitleids die alte Generation abgelöst hat, die vielleicht auch all ihre Erniedrigungen nun ausgelöscht haben.

Einige Abende zuvor hatte jemand von diesem Video erzählt.

Nein, es musste auch anders gehen. Natürlich trauert man irgendwann um die eigene Jugend, um die Vergänglichkeit des Lebens und dass die Zeit nicht zurück zu drehen ist. Aber irgendwann erlischt nun einmal die Energie allmählich und das sollte akzeptiert werden. Das heißt aber nicht, dass ein Miteinander in der Kommunikation nicht möglich wäre.

Schnell gab er eine Antwort ein, und schon im nächsten Moment dachte, er, nein, kann nicht sein, du machst dich lächerlich:

 

hallo, schöne frau, nicht auf einem konzert?

 

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