Schmierzettelassoziationen

Vor ihm liegt ein Satz auf dem Tisch, irgendwann auf einen Schmierzettel gekritzelt. Er kann sich genau an dieses Irgendwann erinnern, saß damals in der Bahn. Auf dem Weg in die Bundeshauptstadt Berlin. Zwischen den vielen Gesprächen, die er hatte führen müssen, denn die Mitgereisten wollten vieles wissen, das eigentlich viel zu persönlich war, hatte er die Kopfhörer aufgesetzt, Stöpsel in die Ohren gesteckt, hatte Musik angemacht. Nick Cave. Schutzschirm, Schutzhöhle gegen die Außenwelt. So kann die Welt aus einer anderen Perspektive betrachtet werden, ohne Verantwortung für das Geschehen, vor allem von außen. Er hatte vor sich hin gesummt und irgendwie war dabei ein Text entstanden, Gedicht, Miniatur, nicht aufgeschrieben und doch da: „Übergleisen – über Gleisen rollen – dem Tag entgegen – Bäume, Häuser Pfosten – Bilder wechseln – bilden Erinnerung – Blitzlichter wittern – verhaltenes Geh-Lächter – und Geh-Schnatter – und aus Ohrstöpseln tropfend – ein Musikbrei.“

Aber das war eben nur die eine Seite seiner fehlenden inneren Anwesenheit. Die Seite, die ihm sagte, dass er letztlich Wege würde alleine gehen müssen. Er war damals auf dem besten Weg, sich zu professionalisieren, dachte er. Herr Nipp würde in Zukunft wohl noch mehrfach in diese Falle laufen. Tatsächlich wird er niemals diese Professionalität des Abhandelns von Menschen haben, des Abfackelns von gespielten Hilfsweisheiten. Sicherlich wird es besser sein, wenn man die Türen hinter sich schießt und nichts mit nach Hause nimmt. Aber dafür würde er immer zu laienhaft sein, zu persönlich verwickelt. Nur für Momente hatten ihn damals die Kopfhörer aus seiner Realität herausgerissen und eine neue aufgebaut. Nur Stunden in der Woche fand er die Ruhe, völlig abzuschalten und zu vergessen, welche Rolle gespielt werden musste. Meistens steckte er einfach zu tief darin.

Er liest den Zettel immer wieder und fragt sich, was wohl gemeint sein könnte, aber hier versagt seine Erinnerung. „Zwischen Vision und Utopie stehend scheint es egal, ob es es schon gewesen sein könnte.“ Dazu ist es zu lange her. Dazu hat er vielleicht zu viel von diesen Lebenskomponenten eingebüßt.

Als er aufblickt, sieht Herr Nipp die Avocadopflanze auf der Fensterbank, zerknüllt den Zettel und wirft ihn in den Papierkorb, er hat keinen Sinn mehr.

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