Butter des Waldes

Die runzlige Frucht hatte bei Fingerdruck die richtige Konsistenz gezeigt. Mit einem langen schwarzgriffigen Küchenmesser zerschnitt Herr Nipp die grünlich violette harte Schale. Drehte die Hälften gegen einander und nahm sich zuerst die Seite vor, welche keinen dicken Kern enthielt. Ein Fruchtfleisch von angenehm zurückhaltender allerdings saftig grünlichgelber Färbung zeigte sich. Zu später Nachtstunde liebte er es, eine Avocado aus der Gemüseschale zu nehmen und sie genüsslich zu vertilgen. Dazu wurde grobes fleur de sel mit den Fingerspitzen gleichmäßig auf der Oberfläche verteilt, Schwarzer Pfeffer durfte natürlich auch nicht fehlen. Hochgenuss. Mit einem Teelöffelchen stach er kleine weiche Stücke ab und sog den dabei entweichenden nussigen Geruch mit erweiteten Nasenlöchern ein. Sofort wurden auf Kommando Glückshormone freigesetzt und der Mund freute sich feucht auf die Geschmacksverführung. Am liebsten mochte er die Avocados mit harter Schale, die waren am besten zu löffeln, aber auch weichschalige Sorten verschmähte er nicht, wenn es nichts anderes auf dem Markt gab. Als Kind, diese seltsamen Teile waren gerade frisch auf dem deutschen Markt etabliert worden und wurden als vegetarischer Wurstersatz angepriesen,  hatte er einmal gelesen, dass ein Westfale vor hundert Jahren eine Avocadofarm in Südafrika gegründet hatte. Mit dem schönen Namen Westfalia. Herr Nipp wusste nicht, ob das stimmte oder lediglich eine Legende war, vielleicht hatte er sich das als kind auch selber ausgedacht. Immerhin hatte er doch tatsächlich schon Früchte mit diesem Namen auf dem Etikett selber in der Hand gehabt. Er fand die Idee allerdings großartig, diese südamerikanische Frucht, die übersetzt so viel hieß wie Butter des Waldes,  auch an anderen Orten anzubauen. So züchtete, nein zog, er aus einem dieser mächtigen Kerne seinen eigenen Baum, naja Busch. Der lebte wohl auch einige Jahre, wurde aber irgendwann zu spät im Herbst ins Haus geholt und verstarb an seinen zugezogenen Erfrierungen jämmerlich.  Wahrscheinlich würde er in Südafrika inzwischen jährlich reiche Frucht tragen. Westfalen allerdings war wohl nicht der richtige Ort.

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