Birnensaft

Früh morgens hat er bereits seine Runde über den Wochenmarkt gedreht. Hier am Stand Käse, dort Eier und Gemüse, da wieder Blumen gekauft. Verschiedenfarbige Landrosen. In dieser Kleinstadt kennt man sich. Freundliche Begrüßungen allenthalben, an zwei Stellen ein netter Plausch. An solchen sonnigen Herbsttagen genießt Herr Nipp das Wochenende. Kurz nach sieben ist es noch nicht so voll . Er hat Brötchen und Brot in der Dinkelbäckerei auf dem Rückweg eingeholt, dort noch einen alten Bekannten mit seinen zwei kleinen Kindern getroffen, launiges Schwätzchen. Da das Frühstück noch auf sich warten lassen wird, sitzt er nun im Garten auf der Liegebank, neben sich ein Glas mit selbst gemachten Birnensaft und liest in einem Roman über die japanische Nachkriegszeit von Kazuo Ishiguro. Er möchte dieses Werk in aller Ruhe genießen und hatte sich vorgenommen, nicht mehr als fünfzig Seiten pro Tag zu lesen. Das macht sechs Tage bei 270 Seiten. Dummerweise begreift er zu spät, dass schon wieder 100 Seiten vorüber sind. So sehr hat ihn die langsame, beinahe vorsichtige Erzählweise in Beschlag genommen. Sogar den Birnensaft hat er völlig vergessen. Jetzt hebt er das große Glas zum Mund und trinkt es in einem Zug leer. Besser kann der Tag kaum beginnen, denkt er. Von oben ein Ruf: „Können im Garten frühstücken?“

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