Klangteppich

Seit früh morgens sitzt er im Wohnzimmer, hat ein Buch vor sich und eine Brille auf der Nase. Er hat eine Scheibe von Aphex Twin aufgelegt, einem, so vermutet er jedenfalls, britschen Künstler, der in schon lange mit diesen seltsamen Rhythmen und Tönen begleitet. Keine CD, das ist klar, die wird es hier nur sehr selten zu hören geben, sondern eine Vniyl. Der Audiokünstler hat seine Songs auf drei Platten verteilt. Sehr großzügig, denn alle zwanzig Minuten muss der Zuhörer aufstehen und wenden, wenn er nicht dieses hochzarte Klack alle zwei Sekunden in Hintergrund haben möchten, weil die Nadel in ihrer Leerrille keinen anderen Klang findet. Gerade hat er ein Kapitel fast beendet, da ist die Scheibe auch schon wieder am Ende angekommen. Mit einem Freund streitet er oft und beharrlich über die Vor- und Nachteile von CDs, Schallplatten und Streaming. Das Wichtigste scheint Herrn Nipp dabei immer dieser ganz besondere Klang, dafür steht er gerne auf, alle paar Minuten, wenn es denn sein muss. Aber letztlich muss ihm der Tonträger oder -vermitteler der Situation angemessen sein, da ist sogar er pragmatisch. Diese Musik von Aphex Twin ist ihm mehr als Hintergrundrauschen, dafür ist sie auch meist zu komplex. Diese Musik hilft ihm dabei, Bilder zu den Texten, die er liest, zu erschaffen. Wald als Wort ist dann tasächlich ein Wald mit knackenden Ästen und all den Geräuschen, die es dort zu hören gibt, obwohl diese elektronische Musik doch so gar nichts damit zu tun hat. Wort und Klangteppich gemeinsam aber schaffen eine Atmosphäre, die er beim Lesen nicht missen möchte. Gleich wird er irgendwann auch die sechste Seite gehört haben, dann wird er das in weißen matten Karton gefasste Werk wieder an seinen Platz stellen, wird eine ganz andere Msuik zum Frühstück auswählen und sich einen heißen Kakao machen, der passt zu diesem frühen, kühlen und klaren Oktoberwetter.

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