Schnurren

Halb dösend liegt er mehr als zu sitzen auf dem Sofa. Die Katze der Nachbarsfamilie ist zu Besuch und hat sich schnurrend tief in die Decke neben ihm eingegraben. Kein Stück ihres leopardierten Fells ist mehr zu sehen. Nach zwei Minuten ist auch schon kein Schnurren mehr zu vernehmen. Das Kätzchen schläft tief und fest. Eigentlich hatte sie wohl draußen schlafen wollen, war dann aber zügig ins Haus gehuscht. Herr Nipp hatte die Etagentür geöffnet und ab ging es nach oben zu seiner Mitwohnerin. Für eine Weile wird er dort wohl sitzen bleiben und später wieder herunter gehen. Ihm schmerzt ein wenig die Backe, da der Arzt dort heute operiert hatte. Aber das Katzenschnurren musste er sich noch mitnehmen, er hat mal gehört, das es die Heilung fördert. Na wenn es doch hilft.

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Birnensaft

Früh morgens hat er bereits seine Runde über den Wochenmarkt gedreht. Hier am Stand Käse, dort Eier und Gemüse, da wieder Blumen gekauft. Verschiedenfarbige Landrosen. In dieser Kleinstadt kennt man sich. Freundliche Begrüßungen allenthalben, an zwei Stellen ein netter Plausch. An solchen sonnigen Herbsttagen genießt Herr Nipp das Wochenende. Kurz nach sieben ist es noch nicht so voll . Er hat Brötchen und Brot in der Dinkelbäckerei auf dem Rückweg eingeholt, dort noch einen alten Bekannten mit seinen zwei kleinen Kindern getroffen, launiges Schwätzchen. Da das Frühstück noch auf sich warten lassen wird, sitzt er nun im Garten auf der Liegebank, neben sich ein Glas mit selbst gemachten Birnensaft und liest in einem Roman über die japanische Nachkriegszeit von Kazuo Ishiguro. Er möchte dieses Werk in aller Ruhe genießen und hatte sich vorgenommen, nicht mehr als fünfzig Seiten pro Tag zu lesen. Das macht sechs Tage bei 270 Seiten. Dummerweise begreift er zu spät, dass schon wieder 100 Seiten vorüber sind. So sehr hat ihn die langsame, beinahe vorsichtige Erzählweise in Beschlag genommen. Sogar den Birnensaft hat er völlig vergessen. Jetzt hebt er das große Glas zum Mund und trinkt es in einem Zug leer. Besser kann der Tag kaum beginnen, denkt er. Von oben ein Ruf: „Können im Garten frühstücken?“

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Goldkettchen

An manchen Tagen passiert so viel, man weiß gar nicht, was das Wichtigste ist, schießt es ihm durch die Gedanken, während er die Gläser in den Schrank räumt. Den vorerst letzten schönen Tag hatten sie fast komplett im Garten zugebracht und trotzdem war es spannend. Eigentlich hatten sie nur kurz den einen Komposter leeren wollen, um danach eine Stunde auf der Schwalbe, die wartend in der Garage steht, zu fahren. Für Herrn Nipp wäre es eine echte Übungsstunde gewesen, da er sich noch nicht so recht an das kleine Maschinchen traut. Dann aber hatte sie den ganzen Garten winterfest gemacht und er beide Komposter geleert, gesiebt, die Beete mit Kompost gedüngt und gegraben. Den einen hölzernen Kompostbehälter wieder mit frischem Material hefüllt. Bei der ganzen Buddelei waren zwei unerklärliche Goldkettchen aufgetaucht. Die wurden in ein Wasserbad gelegt. Sie hatten Besuch von einer Freundin bekommen und Kaffe getrunken, viel geredetund gelacht, auch über ernste Themen, weiteren Besuch von einem Freund mit „grauen Mäusen“ (das sind superleckere Rote Weinbergpfirsiche), viel geredet und dabei über die Vermehrung der Sumpfgladiole gefachsimpelt. Er hatte irgendwann zwischendurch Gelierzucker gekauft und Konfitüre gemacht. Herr Nipp liebt diesen ganz eigenen Geschmack des völlig roten Brotaufstrichs. Danach ging es an die Weitergabe des Obstes. Solche seltenen Früchte müssen gegessen werden, dürfen nicht verkommen. Abends also noch mal Besuch, drei lustige Abholer, Schwester, Nichte , Neffe, wovon letzte aber mehr am Teich interessiert schien. „Ich möchte auch einen haben.“ „Musst du viel graben.“ „Habt ihr das von Hand gemacht?“ „Uns hat ein Hubschrauber geholfen.“ “ Sehr lustig.“ Später abends noch eine Party. Jede Minute des Tages war sinnvoll gefüllt. Selten gibt es so glückliche Tage. Nur die Goldkettchen stellten sich als unecht heraus.

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Verteilung

Jährlich einmal veranstalten die Neheimer Ratsdamen und -herren in Gedenken an einen Adligen, der der Stadt vor Jahrhunderten ein Wäldchen geschenkt hat, um im Kölner Dom bestattet zu werden, eine Stütchenverteilung an Kinder, besuchen die sterblichen Überreste, feiern einen Gottesdienst und gehen abends essen. Eine Schule und eine Straße wurden nach dem Grafen benannt, dieses Jahr sogar ein kleines Musikfestival. Wer weiß, denkt Herr Nipp, vielleicht findet sich ja irgendwann ein kinderloser Multimillionär, der die städtischen Schulden aus seinem Erbe tilgt, statt das Vermögen sinnlos in Dubai zu verballern und darum bittet, dass den ganzen Herbst über das gefallene Obst nicht unter den Bäumen verrottet, sondern zu Saft gepresst an Bedürftige verteilt wird. Wäre eine schöne Geste. Dafür könnte ihr oder ihm dann auch gerne ein Platz oder eine Straße, eine Bildungsstätte oder ein Kindergarten gewidmet werden. Wahrscheinlich wäre es nur schwierig, einen Platz im Kölner Dom zu bekommen, aber ein Denkmal auf dem alten Möhnefriedhof läge eh viel näher.

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Training

Gut, in regelmäßigen Abständen, nein, eher unregelmäßig, aber drei Mal die Woche läuft er seine Runde. Dauerlauf der mittellangsamen Sorte. So vier bis neun Kilometer, seit einigen Jahren keine längeren Strecken mehr. Und das macht ihm sogar gewisse Freude. Nur manchmal überkommt ihn nach wenigen Metern schon eine große Unlust und die muss er dann mit starkem Willen und konzentrierter Atmung überwinden. Was wäre denn, wenn er frühzeitig aufstecken würde? Wahrscheinlich würde er sich völlig gefrustet eine Tüte Chips quasi inhalieren.

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