Romanende

Eigentlich wäre es so schön, so dachte er bei sich, wenn er von jedem Roman die letzte Seite oder auch nur den letzten Satz ins Netz posten würde, vielleicht reichte auch aus, den ersten, einen mittleren Satz und den letzten zu einer Zusammenfassung zu verschmelzen. So würde Thomas Manns „Buddenbrooks“ zu folgendem Kurzroman werden:

Was ist das. (Anfang) Sie streifte ihn mit einem tief erstaunten und gekränkten Blick. (S. 379) Sie stand da, eine Siegerin in dem guten Streite, den sie während der Zeit ihres Lebens gegen die Anfechtungen von seiten ihrer Lehrerinnenvernunft geführt hatte, bucklig, winzig und bebend vor Überzeugung, eine kleine strafende, begeisterte Prophetin. (Ende)

Die oft beschriebenen Leerstellen bei Kafka etwa würden erst dann voll zur Geltung kommen:

Der siebzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon lagsam gewordenen Schiff in den Hafen von Newyork einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker werdenden Sonnenlicht. Er trat an den Pult und klopfte auf ihn solange mit den Knöcheln, bis es half, er rief über Menschenmauern sein noch immer etwas überspitztes, aus hundert Stimmen leicht herauszuhörendes Englisch hin, er ging auf die Leute ohne Zögern zu und mochten sie sich hochmütig in die Tiefe der längsten Geschäftssäle zurückgezogen haben. Bläulichschwarze Steinmassen gingen in spitzen Keilen bis an den Zug heran, man beugte sich aus dem Fenster und suchte vergebens ihre Gipfel, dunkle schmale zerrissene Täler öffneten sich, man beschrieb mit dem Finger die Richtung, in der sie sich verloren, breite Bergströme kamen eilend als große Wellen auf dem hügeligen Untergrund und in sich tausend kleine Schaumwellen treibend, sie stürzten sich unter die Brücke über die der Zug fuhr und sie waren so nah, daß der Hauch ihrer Kühle das Gesicht erschauern machte.

Aber das würde Herr Nipp niemals so realisieren, das wäre vielleicht auch gar nicht statthaft. Spannender wäre es auch noch, wenn aus den verwendeten Wörtern bekannter Literaturen in ihren jeweiligen Flexionen neue Texte verfasst würden, dann stünde die Frage im Raum, ob  mit limitiertem Inhalt etwas völlig Neues realisiert werden kann. Mit solchen Gedanken lag er mal wieder in der Badewanne und war immer kurz vor dem Einschlafen. Und im letzten Moment, bevor das passierte, schoss ihm das perfekte Ende für Bergliebesromane durch den Kopf: Sie steht auf dem Gipfel des Berges, überblickt die Landschaft und schreit lautlos vor Glück.

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