Schlafzimmer

Dieses bis zur Decke unsäglich überdekorierte, man möchte fast sagen verschmückte Zimmer, mit Tapeten voller auf einem altenglisch-altdeutschen beruhenden Missverständnis von imitierter Gemütlichkeit mit beblümter Strukturtapete auf Kunsstoffschaumbasis, wahlweise mit Holzfurnier oder Laminat versehenen Möbeln aus einem günstigen Kaufhaus, die es nicht wert sein würden, sie später einmal aufzuheben, auch in hunderten von Jahren nicht, mit biedermeierlich wirken sollenden Kunstblumengebinden und einer dreigeschirmten Deckenleuchte, deren Fransen den Staub aus der Luft einzuatmen und auf ihren Rändern zu sammeln scheinen,  goldig glänzende Troddeln bildend, die immer in der Gefahr schweben, alles fallen zu lassen, scheint ihm wie eine grundlegende Fälschung der Welt, wenn dies nicht schon der Titel eines Buches von W. Gaddis wäre, als wolle jemand die Realität zukleistern und einen Schein von Heimat erzeugen, der noch nicht definiert ist, aber offenbar dem heimatlichen Fühlen oder jenem Gefühl, das heute in Zeitschriften wie Landlust beschworen wird, zugrunde liegt. Dabei hätte dieser bedrückende Missklang mit anderer Wandgestaltung ausgeglichen werden können, dem Mut zu Licht ohne raumgreifende Gardinenpracht, die schon den Schleier des Grau erkennen ließ, ersetzt mit einer lichten hellblauen Farbe vielleicht, die den Besucher nicht so tief in die Kissen der einfachen Sitz- und Schlafmöbel drückte. Alles andere scheint Herrn Nipp da fast schon verzeihlich, die Vorhänge, Schabracken und Gardinen allerdings nicht, die ihn an eine Zeit erinnern, die längst vergangen ist. War damals nicht jedes Fenster mit diesen halbdurchsichtig schwebenden Textilien verhangen, die es ermöglichten, geschützt nach außen zu schauen, ohne selbst gesehen zu werden, ein Hort der Diskretion, geschützte Natur des Beschauers? Niemand konnte hineinsehen, solange innen kein Licht brannte, und selbst dann waren nur Konturen wahrzunehmen. Diese stets der Vergilbung ausgesetzten Raumluftfilter hatte er schon damals gehasst, sie als Kind schon auf- und weggezogen, wann immer er konnte, damit das ungefilterte Licht einströmen würde, er klar sah, die Augen das zu erblicken vermochten, was ihm wichtig schien. Hier aber, genauso wie damals übrigens, lag er nun im Zwielicht, auch wenn sich die Sonne längst weit über den Horizont erhoben hatte. Wo war aber das Licht, von dem die Besucher dieser Landschaft immer schwärmten, wenn die Innenräume der Häuser als Reservate einer grauen Vorzeit angelegt waren, einer Vorgeschichte, in die sich nur hartgesottenste Retrofetischisten zurücksehnten? Wenn aber, wie an diesem Morgen gar der Himmel bleigrau verhangen war, jenem Grau, das sogar in der Lage ist, die Gedanken zu einem zähen Brei zu lähmen, aus welchem sich niemand fortbewegen kann, dann wirken diese Gardinen als feine Gitter vor der Zellen eines modernen Gefängnisses und auch der Spiegel, der den Raum optisch erweitern sollte, erschien ihm kaum hilfreich, diesen Tag schwungvoll zu beginnen.

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